September 2024: Die Kinderbuchbranche ist in Aufruhr. Autor und Illustrator Patrick Wirbeleit macht auf seinem Instagram-Account auf einen Beitrag der Stiftung Lesen aufmerksam (mittlerweile gelöscht). Es soll eigentlich Werbung fürs Vorlesen sein. Im Bild zu sehen: Ein Eisbärenkind, dem von der Eisbärenmama oder dem Eisbärenpapa vorgelesen wird. Sie sitzen auf einer Eisscholle, im Hintergrund ein stimmungsvoller Himmel. Dazu der Claim : "Eisbären würden vorlesen". Das Problem: Dieses Bild wurde KI-generiert. Dass es sich um keine menschengemachte Illustration handelt, wird alleine schon dadurch deutlich, dass ein Bein des großen Eisbären "durch das Buch wächst". Anscheinend ist das vorher niemandem aufgefallen.
Infolgedessen gab es einen Aufschrei der Illustrator:innen (und Autor:innen), die auf Instagram vertreten sind. Die "Illustratoren Organisation", der Berufsverband deutschsprachiger Illustratorinnen und Illustratoren, schrieb sogar einen offenen Brief zum Thema. Illustratorin Anne-Kathrin Behl bringt es in einem Video auf den Punkt und sagt, die Stiftung Lesen habe gezeigt, "dass wir Kinderbuchllustrator:innen ziemlich austauschbar sind". Vielleicht wäre die Empörung kleiner ausgefallen, wenn es sich beispielsweise um kommerzielle Werbung gehandelt hätte. Aber einer Institution wie der Stiftung Lesen nimmt man so etwas dann doch übel, irgendetwas passt da einfach nicht. Schließlich hat die Stiftung einen nicht unerheblichen Einfluß darauf, wie das Thema "Kinderbuch" in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.
Das Problem, dass die Kreativen mit generativer KI haben, ist folgendes: Diese wird mit Millionen Illustrationen echter Menschen trainiert, die ihre Fähigkeiten und Stile teils über Jahrzehnte erarbeitet haben, und die nie ihr Einverständnis dazu gegeben haben, noch irgendeine Entschädigung dafür sehen. Das wird als klarer Verstoß gegen das Urheberrecht gesehen.
Soviel zur Vorgeschichte. Die Stiftung Lesen veröffentlichte übrigens einige Tage später ein Statement auf ihrer Website: https://www.stiftunglesen.de/mach-mit-lies-vor/statement?fbclid=PAZXh0bgNhZW0CMTEAAaas7ygYmIoOgh8S8Mu0MUDHqlZ6rSUfzhi-ughRZC2R50iG6dADcVSA6dk_aem_ZKcF_hdRYkuTzI2mVdlE8w
Als ob das nicht genug wäre, hat Patrick Wirbeleit wenige Tage später einen neuen Aufreger im Programm. Ihm war aufgefallen, dass der große Oetinger Verlag die Jugendbuchreihe "Skogland" der renommierten Autorin Kirsten Boie neu aufgelegt hatte. Und auch hier hatte man zur Gestaltung der Cover tief in die KI-Trickkiste gegriffen. Nun ist der Oetinger Verlag nicht irgendein Verlag, sondern einer der größten Kinder- und Jugendbuchverlage in Deutschland. Klassiker wie "Pippi Langstrumpf" und "Petterson und Findus" sind hier zuhause, genauso wie viele deutsche Autor:innen.
Aufgewärmt durch die Kampagne der Stiftung Lesen, äußerte sich die Szene lautstark zu Wort. Auch der Autor und Illustrator Michael Mantel [das bin ich – steht hier so für die Suchmaschinen] äußerte seinen Unmut mit einem sehr prägnanten Wortbeitrag: https://www.instagram.com/p/DBdnzBPuhF5/
All diese Beiträge waren offensichtlich lautstark genug, den Oetinger Verlag zu einem Statement zu bewegen, das er nur wenige Tage später auf seinem Instagram-Account veröffentlichte, s.u..
Und das war dann sogar dem Spiegel und dem Börsenblatt Beiträge wert.
Abschließend möchte ich noch meine persönliche Meinung zu dem Thema loswerden. Es war irgendwie zu erwarten, dass das alles passiert. Zu groß sind die Verlockungen der KI. Die Frage war eher, wer sich zuerst "aus der Deckung" wagt. Eigentlich gut für uns Illustrator:innen, dass es der Oetinger Verlag war. Durch sein Statement sind nun auch die anderen Verlage gezwungen, sich zu positionieren. Ich denke, die Zusammenarbeit mit echten Illustartor:innen, Autor:innen, lektor:innen, Übersetzer:innen usw. wird in Zukunft DAS große Qualitätsmerkmal der etablierten Verlage sein. Denn dass KI eingesetzt wird, ist kaum vermeidbar, man sieht es allein auf den unzähligen Büchern, die in Eigenregie auf Amazon publiziert werden. Aber das ist ein anderes Thema...